Die Gas-Situation in Deutschland
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Die Alarmstufe wurde ausgerufen – was bedeutet das?
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat am Donnerstag, 23. Juni 2022 die sogenannte „Alarmstufe“ ausgerufen. Die Alarmstufe ist die zweite von drei Stufen im „Notfallplan Gas“, der in Deutschland die Versorgung im Krisenfall regelt. Die Alarmstufe führt dazu, dass die Lage noch genauer und engmaschiger beobachtet wird als in der bislang geltenden Frühwarnstufe. Neben einem verschärften Monitoring gilt auch eine stetige Abstimmung unter den Netzbetreibern. Ebenso können die Netzbetreiber zu steuernden Maßnahmen greifen, um Schwankungen auszugleichen und das Netz zu stabilisieren.
Das Ausrufen der Alarmstufe kann grundsätzlich Folgen für Verbraucher nach sich ziehen. Voraussetzung ist, dass die Bundesnetzagentur (BNetzA) zusätzlich formal eine erhebliche Reduzierung der Gasimporte bekannt gibt. Dies erfolgte bisher nicht. Ein solcher Fall würde Energieversorgern kurzfristige Preisanpassungen und damit die schnelle Weitergabe der gestiegener Beschaffungskosten an Kunden/innen erlauben.
Was Sie als Erdgaskunde wissen sollten
Wie erfahre ich, dass die Gasversorgung gekürzt wird?
Frühwarn- und Alarmstufe werden durch das Bundeswirtschaftsministerium durch Pressemitteilung ausgerufen.
Soweit zeitlich möglich, werden Öffentlichkeit bzw. die von Kürzungen voraussichtlich betroffenen Netzkunden frühzeitig über bevorstehende Lastabschaltungen informiert. Über drohende Kürzungen informiert der Netzbetreiber seine Letztverbraucher mit registrierter Leistungsmessung (RLM) unverzüglich – per Mail oder Telefax gilt als ausreichend.
Auch über tatsächliche Kürzungen werden RLM-Letztverbraucher informiert und erhalten eine Aufforderung, den Verbrauch in einem vorgegebenen Zeitfenster zu reduzieren. Im Falle einer erforderlichen Abschaltung von Letztverbrauchern mit Standardlastprofil erfolgt die Aufforderung zur Reduzierung des Verbrauchs über öffentliche Bekanntmachung, etwa über Radio, Zeitung oder Lautsprecher-Durchsagen.
Wer ist wann von möglichen Kürzungen der Gasversorgung betroffen?
Sind Kürzungen in der Belieferung von Letztverbrauchern nicht zu vermeiden, werden diese grundsätzlich in folgender Reihenfolge vorgenommen:
- zuerst nicht geschützte Kunden
- dann systemrelevante Gaskraftwerke
- zuletzt geschützte Kunden wie Haushalte, Fernwärmeversorger oder Gesundheitsversorger
Der Leitfaden „Krisenvorsorge Gas“ sieht eine Abschaltreihenfolge auf der Basis verschiedener Kriterien vor: Dazu können unter anderem physikalische Gegebenheiten, Kapazitäten, Wirksamkeit und Folgen von Abschaltungen, die (Un-)Möglichkeit eines Brennstoffwechsels oder Auswirkungen auf das öffentliche Leben durch die Abschaltung gehören.
Kann ich als Gewerbekunde etwas gegen eine Kürzung oder einen Stopp der Gaslieferungen unternehmen?
Verfügungen zum Abschalten der Gasversorgung dürfen nicht willkürlich erlassen werden. Vielmehr müssen sie immer verhältnismäßig sein. Daher sollten Unternehmen sich vorsorglich und mit Blick auf eine drohende Gasversorgungsunterbrechung fragen, welche stichhaltigen Argumente ihnen für ihre Versorgung zur Verfügung stehen.
Insbesondere kann gefragt werden, warum das jeweilige Unternehmen von einer Abschaltung besonders schwer betroffen wäre und warum Alternativen (z.B. der Einsatz von Elektrizität oder Ersatzbrennstoffen) nicht oder nur eingeschränkt in Betracht kommen.
Wie sicher ist die Versorgung mit Erdgas?
Aktuell gibt es in Deutschland keine Versorgungsengpässe. Allerdings ist die Lage sehr ernst und äußerst angespannt. Selbst, wenn sich die Versorgungslage weiter verschlechtern sollte und in der Folge die finale dritte Stufe, die „Notfallstufe“, ausgerufen werden sollte, sind Haushalte weiterhin besonders geschützt.
Was passiert bei einer weiteren Verschlechterung der Versorgungslage?
Die Bundesregierung hat mit verschiedenen Maßnahmen gegengesteuert – zum Beispiel mit Vereinbarungen über erhöhte Liefermengen von LNG-Flüssiggas aus den USA. Sollte sich das Angebot für Erdgas dennoch weiter verknappen, wird die Bundesnetzagentur eine sogenannte „Gasmangellage“ feststellen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz kann die finale dritte Stufe, die „Notfallstufe“ ausrufen.
In der Notfallstufe kann die BNetzA als „Bundeslastverteiler“ agieren und die Zuteilung von Gas übernehmen. Sie kann Zwangsmaßnahmen anordnen, insbesondere die Aufforderung zur Leistungsreduzierung von nicht-geschützten Kunden. Diese Zwangsmaßnahmen müssen durch die jeweiligen Netzbetreiber ausgeführt werden. Die Netzbetreiber sind daher in aller Regel seit Wochen in enger Abstimmung mit der Industrie aus der Region, um für den Fall einer Gasmangellage eine schnelle und sichere Kommunikation sicherzustellen.
Was kann ich als Verbraucher tun?
Jeder Verbraucher kann seinen Teil dazu beitragen, die Versorgungslage weiter stabil zu halten. Auch viele kleine Beiträge können zusammen eine große Wirkung entfalten und signifikant Energie einsparen.
Werden etwa Heizungen heruntergedreht und Warmwasser sparsamer genutzt, ergibt sich ein deutliches Potenzial. Etwa ein Drittel des Gasverbrauchs entfällt in Deutschland auf private Haushalte.
Hintergrundinfos zum Thema Erdgas
Welche Rolle spielt russisches Erdgas bei der Stromerzeugung?
Trotz des Ausbaus der erneuerbaren Energien ist Deutschland bei der Stromerzeugung zu großen Teilen aus fossilen Energieträgern abhängig. Aktuell (Stand 2021) werden 26,4 % des deutschen Stroms aus Erdgas erzeugt. Das meiste Gas beziehen wir aus Russland (55 %), gefolgt von Norwegen (31 %) und den Niederlanden (13 %). Eine lang andauernde Unterbrechung der Gaslieferungen aus Russland würde insbesondere in der Heizperiode zu Einschränkungen bei der Gasversorgung führen.
Quelle: Ag Energiebilanz (2021)
Wofür wird Erdgas in Deutschland verwendet?
Quelle: Statista
Die wichtigste Rolle spielt Erdgas nicht in der Stromerzeugung, sondern in der Industrie sowie in den privaten Haushalten. 2020 wurde Erdgas in Deutschland wie folgt verbraucht:
- 36 % Industrie
- 31 % private Haushalte
- 14 % Stromerzeugung
- 12 % Handel, Gewerbe und Dienstleistungssektor
- 7 % Fernwärme
Wie steht es mit der Speicherung von Erdgas?
Deutschland besitzt vergleichsweise große Speicherkapazitäten für Erdgas. Nach den USA, Russland und der Ukraine weist Deutschland das größte Speichervolumen für Erdgas weltweit auf. Der Speicherfüllstand liegt derzeit bei rund 60 %. Um sicherzustellen, dass die Speicher für den Winter ausreichend gefüllt sind, sollen in diesem Jahr folgende Mindestfüllmengen für Deutschland erreicht sein:
- zum 1. August: 65 %
- zum 1. Oktober: 80 %
- zum 1. Dezember: 90 %
- zum 1. Februar des Folgejahres: 40 %
Werden die geforderten Mindestmengen zu den jeweiligen Stichtagen nicht erreicht, greifen Anreiz- und Aktionsverfahren. Hierdurch soll mittelfristig eine strategische nationale Gasreserve aufgebaut werden.
Kapazitäten der größten Gaspipelines zwischen Russland und Europa
Was passiert, wenn es nicht genug Erdgas für alle Abnehmer gibt?
In Deutschland ist das Vorgehen im „Notfallplan Gas für die Bundesrepublik Deutschland” geregelt, der durch den Leitfaden Krisenvorsorge Gas konkretisiert wird. Der Notfallplan unterscheidet bei (drohendem) Gasmangel zwischen drei Krisenstufen. Diese Stufen müssen nicht nacheinander ausgerufen werden. Es kann auch sofort die mittlere oder höchste Krisenstufe festgestellt werden.
1) Frühwarnstufe: Hinweise, dass sich die Situation verschlechtert
Sie setzt auf eigenverantwortliche Maßnahmen der zuständigen Marktakteure gemäß Energiewirtschaftsgesetz (EnWG), z.B. vertragliche Regelungen über eine Abschaltung und den Einsatz von Speichern oder den Einsatz von Ausgleichsleistungen.
2) Alarmstufe: Störung der Gasversorgung oder außergewöhnlich hohe Nachfrage
Sie setzt ebenfalls auf eigenverantwortliche Maßnahmen der zuständigen Marktakteure.
3) Notfallstufe: Erhebliche Störung der Gasversorgung oder außergewöhnlich hohe Nachfrage
Die Bundesnetzagentur und die Bundesländer erhalten hoheitliche Eingriffsmöglichkeiten, um den lebenswichtigen Bedarf abzudecken. Mögliche Maßnahmen sind der Rückgriff auf strategische Gasvorräte und Vorgaben über Zuteilung, Bezug und Verwendung von Gas an bestimmte Verbrauchergruppen. Das kann auch den Ausschluss vom Gasbezug beinhalten.
Wer wird im Versorgungsnotfall mit Gas beliefert?
Eine Versorgungspflicht besteht grundsätzlich nur für sog. „geschützte Kunden”. Geschützt sind:
- Haushaltskunden
- Letztverbraucher mit standardisierten Lastprofilen
- Letztverbraucher, die Haushaltskunden zum Zwecke der Wärmeversorgung beliefern (aber nur zu dem Teil, der für die Wärmelieferung benötigt wird)
- Unternehmen oder Dienste aus den Bereichen Gesundheitsversorgung, grundlegende soziale Versorgung, Notfall, Sicherheit, Bildung oder öffentliche Verwaltung
- Fernwärmeanlagen, die keinen Brennstoffwechsel vornehmen können (aber nur zu dem Teil, der für die Wärmelieferung benötigt wird)
Die meisten Industrieunternehmen fallen also nicht in den Bereich der „geschützten Kunden”. Dies bedeutet, dass eine Reduzierung oder sogar Unterbrechung der Gasversorgung für Industrieunternehmen vor diesem Hintergrund grundsätzlich möglich ist.